Servus.
Einige Worte voraus: Den Jahresrückblick habe ich aufgegeben. Einerseits wegen der mangelnden Rezeption, hauptsächlich aber durch fehlende Zeit, bedingt durch Projekte wie den Podcast und die WFE. Es mag inkonsequent erscheinen, doch ich habe beschlossen trotzdem die Kolumne fortzuführen, jedes Mal wenn mir ein neuer Gedanke kommt. Dieses Mal habe ich viele Diskussionen, Gespräche und innere Monologe, die ich geführt habe, zu einem kleinen Text zusammengefasst, der hoffentlich nicht allzu zusammenhangslos erscheint. Ich habe mich bemüht, meine Behauptungen schlüssig zu halten und möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass dieser Text meine eigene Meinung wiederspiegelt. Wenn ihr anderer Meinung seid, dann bin ich natürlich gerne bereit darüber zu diskutieren. Nun aber viel Spaß:
Oft haben wir darüber diskutiert, innerhalb des Podcasts, nachts während PPVs, oder einfach so in unserer Freizeit. Ich rede von den Leuten, die sich immer wieder bei Skype einfinden, einfach nur um zu fachsimpeln, sich einen Nachmittag zu vertreiben, oder eben einen Podcast aufzunehmen. Im Wrestling fehlen die Charaktere. Doch halt! Charaktere fehlen? Wer sind dann die Leute, die da wöchentlich im Ring stehen? Verkörpern sie nicht immer ihren ganz eigenen Charakter? Jein. Natürlich gibt es noch Charaktere im weiteren Sinne im heutigen Wrestling, namentlich in der WWE, doch was ich meine, sind richtige Gimmicks. Gimmicks, die einem immer im Gedächtnis bleiben, auch wenn sie nie im Titelrennen waren. Gimmicks, die schräg, witzig, gruselig, oder gar abstoßend sind. Gimmicks, wie der Boogeyman, die Vampire Kevin Thorn und Gangrel, der Olympic Champ Kurt Angle, King Booker, D-Generation X, die Sprit Squad. Die Liste ließe sich ewig weiterführen und ich habe nur Weniges aus den letzten zwei Jahrzenten aufgelistet, doch es sollte klar sein, was ich meine.
Warum ist das so? Warum sind Gimmicks weniger abwechslungsreich geworden? Sind nicht gerade märchenhafte Gestalten für die PG-Ausrichtung wie geschaffen? Ich habe natürlich eine Theorie, denn ansonsten gäbe es keinen Sinn für diesen Text.
Jedes Gimmick braucht einen Gegenpart. Wenn jemand mit einem skurrilen Gimmick in eine Fehde einsteigt, dann muss sein Gegner mindestens genauso skurril handeln, ansonsten wird die Fehde selbst für die WWE zu unrealistisch. Gegen DX stand Mitte des letzten Jahrzents die Sprit Squad, angeführt von den McMahons, die in ihrer Boshaftigkeit jeglichen Realismus längst überschritten hatten. Somit traf die Komik von DX, so überzogen sie auch gewesen sein mag, auf ein ebenso überzogenes Gimmick, wodurch es wieder glaubhaft wurde. Die Formel hierzu lautet: Wenn etwas unrealistisch ist, paare es mit etwas anderem Unrealistischem, und es wird unterhaltsam. Um die oben genannten Beispiele aufzugreifen: King Booker bekam es mit dem Boogeyman, oder dem weit übertriebenen Powerhouse Batista zu tun. (Hierzu eine Erläuterung, ich beziehe mich auf realistische Körpermaße und Fähigkeiten, die bei Batista definitiv nicht realistisch dargestellt waren, was nicht schlecht sein muss, denn es passte gut zu dem übertriebenen Gimmick King Bookers, oder zu einem Great Khali.) Ein skurriles, oder übertriebenes Gimmick muss nicht immer mit einem Gleichartigen gepaart werden, allerdings wird man, wenn man die entsprechenden Fehden betrachtet, in der Regel zu dem Schluss kommen, dass es durchaus von Vorteil ist. Skurril gegen skurril hat einfach ein größeres humoristisches Potential.
Zurück zu unserem Problem. Warum im Besonderen die WWE kaum noch abgefahrene Gimmicks auffährt, lässt sich nicht genau bestimmen, ich deute es allerdings als ein Zeichen der Zeit. Reality-Shows überschwemmen das Fernsehen und erzielen hohe Einschaltquoten. Die WWE sieht ihre Shows mehr als Entertainment, denn als Sport, von daher macht es Sinn sich am Fernsehprogramm zu orientieren. Zumindest was allgemeine Trends angeht. PG bedeutet dabei auch Verantwortung. Kinder, die die Sendung sehen, erfahren ein gewisses Maß an Erziehung. Mischt man diese beiden Punkte, so kommen wir auf eine mögliche Erklärung für die aktuellen Gimmicks. Wrestler bekommen neue Namen, die irgendwie fremd klingen, aber dennoch in der Nachbarschaft auftreten könnten. Die Movesets sind einander ähnlich und beinhalten nur selten besondere Highflying-Aktionen, Techniken, oder gar Submissions. Die Charaktere sind in der Regel eindimensional, vorhersehbar (außer die WWE überkommt mal wieder ein Turnbedürfnis) und austauschbar. Die Bösewichte verlieren meist, gewinnen nur in den seltensten Fällen clean und am Ende siegt fast immer das Gute (John Cena). All dies erfüllt einmal den Punkt des angestrebten Realismus, aber auch den durch die Erziehung gegebenen Vorbildcharakter.
Die weiteren Vorteile liegen auf der Hand. Ein austauschbarer Charakter kann leicht ersetzt werden. Machmal wundere ich mich, was für Gimmicks und Storylines in der FCW so vorzufinden sind. Da steht das Hauptprogramm oft gegen zurück, doch erfüllen diese Gimmicks und Storylines eben nicht die oben genannten Charakteristika. Aus der FCW kommen also häufig Talente, die allerdings im Hauptroster dann mit einem dieser austauschbaren Gimmicks ausgestattet werden. (Micheal McGillicutty, David Otunga, Heath Slater, Justin Gabriel, Mason Ryan sind alles Charaktere, die leicht durch Leute mit ähnlichem Aussehen, oder Fähigkeiten ersetzt werden könnten. Das soll nicht heißen, diese Wrestler hätten nicht ihren eigenen Stil entwickelt, aber es gibt doch für jeden bereits vorhandene, oder vergangene Gimmicks, die starke Ähnlichkeiten aufweisen und es werden neue Folgen, die wieder ähnlich sind. Auch hier ließe sich die Liste fortführen, doch mein Standpunkt sollte klar sein.) Mit diesen Gimmicks geht allerdings eine Verpflichtung einher, nämlich die bereits erwähnte Vorbildfunktion. Hier spielt das Internet der WWE einen Streich, mit dem sie nicht ganz umgehen kann. Heutzutage ist es leicht, etwas über Personen herauszufinden. Twitter, Facebook und über das Internet zugängliche Regenbogenpresse machen es dabei nicht nur möglich viel über seinen Lieblingsstar herauszufinden, sondern auch an kompromittierende Kommentare und Berichte zu gelangen. Das Internet hat jeden Menschen zu einem Kritiker und Experten und jeden zweiten Menschen zu einem Gaffer gemacht. (Gaffer in dem Sinne, dass man sich besonders auf Meldungen stürzt, die das Scheitern und die Fehler eines Stars beschreiben.) Es ist beruhigend zu erfahren, dass auch der bewunderte Star nur ein Mensch ist. Das Problem dabei ist nur, dass dadurch die Vorbildfunktion in Frage gestellt wird. Kann man jemanden als Vorbild haben, der selber voller Fehler ist? Vor allem, da man mit den Fehlern quasi bombardiert wird. Niemand schreibt darüber, wie glücklich und zufrieden ein Star ist und was er heute wieder richtig gemacht hat. So erklärt sich das rigorose Handeln der WWE bei Verstößen gegen die Wellness-Policy und ähnliches. Wer sich in der Öffentlichkeit Fehler erlaubt, der kann kein richtiges Vorbild für Kinder sein, vor allem dann nicht, wenn die Eltern dieser Kinder die Erklärung für das Fehlverhalten ihrer Nachkommen immer zuerst beim Fernsehen suchen. Hier ist das Hauptproblem verborgen. Mit der heutigen Informationsüberflutung kann kaum jemand das Bild eines perfekten Vorbilds aufrecht erhalten, vor allem da die Zuschauer nur darauf warten, dass sich der Star einen Fehler erlaubt, um sich darauf zu stürzen. Dennoch versucht die WWE Vorbildcharaktere zu kreieren, die auch in der Nachbarschaft leben könnten, mit denen man sich identifizieren kann. Da dies kaum möglich ist und ständige Korrekturen in Storylines, Pushes, Depushes, Suspendierungen etc. einen vernünftigen Charakteraufbau gar nicht zulassen, ist dieses Projekt zum Scheitern verurteilt. Das Gimmick hängt durch den Realismus einfach zu nahe an der Person des Wrestlers und wird mit diesem im Idealfall gleichgesetzt, mit allen genannten Vor- und Nachteilen.
Versucht euch an frühere Zeiten zu erinnern. An Zeiten, in denen ihr noch nichts mit dem Internet zu tun hattet. Jeder hat Helden der Kindheit. Einige werden Zeichentrickfiguren dazu zählen, andere Serienhelden. Wer schon etwas älter ist, der kennt auch Schauspieler, Komiker und Sportler, die als Vorbilder galten und als Helden der Kindheit, oder der Jugend verehrt werden. Diese Leute sind ohne Makel, aber mit eigenem Charakter. Um mal die älteren Leser anzusprechen: Ein David Hasselhoff war mit Knight Rider und Baywatch ein Held. Das Internet brachte die Erkenntnis in Form eines Videos über einen Cheeseburger. (Wer nicht weiß, worauf ich anspiele, der suche einfach im Netz. Es sollte leicht zu finden sein.) Zwei der größten Komiker/Schauspieler Deutschlands, Heinz Erhardt und Heinz Rühmann kollaborierten mit den Nazis. (Sie waren allerdings beide unpolitisch!) Unser Wissensdurst wird mit einem Klick gestillt und die Enttäuschung setzt ein. Und Jeff Hardy nimmt Drogen. Wüsste man das alles nicht, könnte man seine Helden in Unschuld verehren und sich nach ihren positiven Eigenschaften richten. Wir nennen so jemanden Mark. Meine Definition von Mark ist daher: Ein Mark kann noch uneingeschränkten Spaß am Wrestling haben.
Bis denne,
euer Craggy.